Thema: Industriekultur und Denkmalpflege
Ministerium für Bildung und Kultur | Industriekultur

Sender Europe 1

Die 1954/55 erbaute Sendehalle „Europe 1“ in Berus (Gemeinde Überherrn) zeigt die Verquickung von seinerzeit modernster Radiotechnik und avantgardistischer Architektur.

Das Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war nach 1945 sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik Deutschland etabliert worden. Die staatliche Kontrolle verhinderte eine legale Konkurrenz durch private Rundfunkanbieter auf französischem Staatsgebiet. Zum Unterlaufen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Frankreich entstanden daher sogenannte „radios périphériques“, die in kleinen Ländern wie Monaco, Andorra oder Luxemburg ihren Sitz hatten. So produzierten die damals bestehenden privaten Sender Radio Luxembourg und Radio Monte Carlo ein mehrsprachiges Programm, wobei der Hauptmarkt jedoch Frankreich sein sollte.

Die private Radiowirtschaft hatte das Ansinnen, einen weiteren Radiosender zu errichten, und zwar auf dem Gebiet des zwischen 1947 und 1957/59 teilautonomen Saarlandes. Hierbei sollte das Saarland den Platz für den neuen Sender zur Verfügung stellen und hierfür einen eigenen Fernsehsender „Telesaar“ erhalten, dessen Defizite durch das auf Frankreich ausgerichtete Privatradio kompensiert werden sollten.

Das Vorhaben hatte einen visionären Charakter. Ziel war ein avantgardistisch anmutendes Sendezentrum, das sowohl Radio- als auch Fernsehprogramm verbreiten sollte. Das Zentrum der Anlage bildet die herzförmige Sendehalle mit ihrer außergewöhnlichen Dachform. Der einsam auf den Höhen des Saargaus nur 700 m von der Grenze zu Frankreich entfernt gelegene futuristische Bau scheint für seine Zweckbestimmung gänzlich überdimensioniert.

Sendeanlage „Europe 1“ Sendeanlage „Europe 1“
Die 1954/55 erbaute Sendehalle „Europe 1“ in Berus zeigt die Verquickung von seinerzeit modernster Radiotechnik und avantgardistischer Architektur. Die muschelförmige Sendehalle ist weltweit das erste Gebäude dieser Größenordnung mit einem aus Beton gegossenen auf vorgespannten Seilen hängenden Dach. Die Sendehalle und der benachbarte Fernsehturm verleihen der Anlage eine fast sakrale Anmutung. Foto: Landesdenkmalamt, Sabine Schulte

Der erste Entwurf für die Sendehalle Europe 1, der vermutlich nicht realisierungsfähig war, stammt vom Architekten Jean-François Guédy (1908-1955). Dies änderte sich, als mit Bernard Laffaille (1900-1955) einer der renommiertesten französischen Ingenieure für dünne Tragschalen aus Beton für das Projekt gewonnen werden konnte. Vermutlich durch seine Einflussnahme entwickelte sich das Projekt zu einem scheinbar umsetzungsfähigen Vorhaben. Das nur 5 cm starke Betonhängedach sollte über einen Ringanker gefasst werden und somit einen stützenfreien Raum erlauben. Zusätzliche Zugbänder sollten den Ringbalken selbst zusammenhalten, der wiederum auf lediglich drei statisch relevanten Punkten aufliegen sollte. Auf diese mutige Innovation hatten die beiden Vorläufer der Halle in Berus – die 1952 eröffnete Dorton Arena in Raleigh in den USA und die 1953 eröffnete Schwarzwaldhalle in Karlsruhe – verzichtet. Gemeinsam mit Laffaille arbeitete Réne Sarger (1917-1988) an der Umsetzung des Entwurfs.

Die Planung wurde im April 1954 zur Genehmigung vorgelegt, wobei die nachgereichten Detailberechnungen offenbarten, dass nach dem Ausschalen mit einer Absenkung des Daches um etwa 70 cm zu rechnen wäre. In der Folge wurde die Konstruktion umgestellt und versucht, das von Eugène Freyssinet (1879-1962) entwickelte System des vorgespannten Betons in das Statikkonzept zu integrieren. Dies schlug jedoch fehl und so kam es in der Nacht vom 8. auf den 9. September 1954 während des Spannvorgangs zu irreparablen Rissen im Dach. Gegen die erhobenen Vorwürfe konnten sich Laffaille und Guédy nicht mehr verteidigen: Laffaille verstarb unerwartet am 24. Juni 1955; Guédy wählte im gleichen Jahr den Freitod.

Freyssinet selbst überarbeitete die Konstruktion tiefgreifend, was eine weitgehend neue Statik, Fundamentverbreiterungen sowie Umarbeitung bzw. Verstärkung fast aller tragenden Bauteile bedeutete. In die in Gänze erneuerte und mit Vorspannung bewehrte 8 cm starke Dachschale mit bis zu 30 cm starker Randverdickung wurden Heraklith-Platten zur Gewichtsersparnis einbetoniert. 1955 konnte die Sendehalle schließlich fertiggestellt werden. Im Rahmen einer Grundsanierung im Jahr 1980 wurden viele der damaligen Hilfslösungen beseitigt, was dem Bau mehr architektonische Klarheit verlieh. Auch erfolgte eine neue Längsunterspannung des Dachtragwerks, nun mit externen sichtbaren Spanngliedern.

Sendehalle „Europe 1“ Sendehalle „Europe 1“
Die Mitten des quer ausgerichteten Gebäudes bilden die tiefsten Punkte, wobei dieses vorne deutlich höher ist als auf der Rückseite. Das Dach fällt somit nach hinten ab. Der muschelförmige Grundriss bedingt, dass der Bau lediglich eine Symmetrieachse aufweist. Im Rahmen einer Grundsanierung im Jahr 1980 erfolgte auch eine neue Längsunterspannung des Dachtragwerks, nun mit externen sichtbaren Spanngliedern. Foto: Jens Falk

Die heutige muschelförmige Sendehalle hat eine Größe von 82,5 × 43,5 m. Den oberen Abschluss des quer ausgerichteten Gebäudes bildet ein auf Pfeilern aufliegender geschwungener Ringanker. Die Mitten des Gebäudes bilden die tiefsten Punkte, wobei dieses vorne mit 9,50 m deutlich höher ist als auf der Rückseite mit 4,24 m. Das Dach fällt somit nach hinten ab. Die Seiten haben eine maximale Höhe von 16,22 m. Der muschelförmige Grundriss bedingt, dass der Bau lediglich eine Symmetrieachse aufweist. Die Sendehalle ist weltweit das erste Gebäude dieser Größenordnung mit einem aus Beton gegossenen auf vorgespannten Seilen hängenden Dach.

Sendetechnische Ausstattung „Europe 1“

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Im Laufe der Zeit erfolgte der Ausbau mit neuen Sendeanlagen zum weltweit stärksten Langwellensender. Die Anlagen produzierten enorme Mengen an Abwärme, die über Wärmetauscher zur vollständigen Beheizung des Gebäudekomplexes genutzt wurde. Ein der Halle vorgelagertes Becken diente als Kühlwasserreservoir dem Überhitzungsschutz der Sendeanlagen.

Glücklicherweise ist nach der Einstellung des Sendebetriebs in Berus am 31. Dezember 2019 und der Sprengung der Sendemasten im Oktober 2020 die sendetechnische Ausstattung der Sendehalle erhalten geblieben. Gemeinsam mit dem Fernsehturm bildet die Anlage neben dem architektonischen Wert der Sendehalle ein Ensemble von höchster technikgeschichtlicher Bedeutung.

Der Fernsehturm neben der Sendehalle zeugt von dem Vorhaben, von Berus aus auch ein Fernsehprogramm ausstrahlen zu wollen. Entworfen wurde er ab 1954 von dem chinesischen Ingenieur Ou Tseng. Die Sendehalle und der benachbarte Fernsehturm verleihen der Anlage eine beinahe sakrale Anmutung.

Seit August 2016 befindet sich das Senderareal im Eigentum der Gemeinde Überherrn. Nach dem Verlust der früheren Funktion besteht nun die Herausforderung, die Anlage einer neuen Nutzung zuzuführen.