Thema: Industriekultur und Denkmalpflege
Ministerium für Bildung und Kultur | Industriekultur

Alte Cristallerie Wadgassen
(Villeroy & Boch Factory Outlet)

Die Glasindustrie war nach dem Steinkohlenbergbau und der Hüttenindustrie bis um 1930 der drittwichtigste Industriezweig im Saarland.

Die Prämonstratenserabtei in Wadgassen war im Zuge der Französischen Revolution 1792 aufgegeben worden. Sie wurde schließlich säkularisiert und in der Folgezeit teilweise als Steinbruch für den Hausbau genutzt.

Im Jahr 1798 wurde der größte Teil der ehemaligen Abtei von Nicolas Villeroy erworben. Die Abteikirche wurde 1803 abgebrochen. Die zum Kloster gehörende Getreidemühle wurde zur Aufbereitung von Rohstoffen umgenutzt, die für die Fayencerie in Wallerfangen benötigt wurden. Nachdem in den 1830er Jahren im Wallerfanger Werk eine Dampfmaschine installiert worden war, wurde die ehemalige Getreidemühle nicht mehr zur Rohstoffaufbereitung benötigt.

Jean François Boch und Nicolas Villeroy planten 1840 zunächst die Gründung einer Manufaktur zur Herstellung englischen Porzellans. Den Plan verwarfen sie 1841 wieder zu Gunsten der Errichtung einer Cristallerie nach lothringischem Vorbild. Das von den Unternehmern Jean François Boch, Nicolas Villeroy, Eduard Karcher und Eugen Raspiller gegründete Werk nahm 1843 seinen Betrieb auf. Es firmierte zunächst unter „Cristallerie Villeroy, Boch, Karcher & Comp.“ und verfügte anfangs über Hafenöfen, die vom unterhalb der Öfen gelegenen Hüttenkeller befeuert wurden. Erster technischer Leiter war 1843-1854 Eugen Raspiller. Nach dessen Tod folgte 1854-1857 sein Bruder August Raspiller als Leiter. Die beiden Brüder entstammten der berühmten lothringischen Glasmacherfamilie Raspiller. Die zur Glasherstellung benötigten Rohstoffe wurden aus Frankreich bezogen und über den Wasserweg geliefert. Die für die Glasschmelze verwendete Kohle wurde zeitweise von der Grube Hostenbach bezogen, an der die Familie Villeroy Anteile besaß. Die Belegschaft wurde zum Großteil aus Lothringen, damals eine Hochburg der Glasherstellung, angeworben.

Der erste Produktkatalog nennt zwei Arten von Kristall: Das leichte bzw. böhmische Kristall wurde ohne Bleioxid geschmolzen und später als Halbkristall bezeichnet; das schwere bzw. französische Kristall wurde später als Kristall bezeichnet. Daneben wurden auch einige wenige Objekte aus Pressglas produziert. Zwischen den Jahren 1863 und 1868 begann die Verarbeitung farbigen Glases. Im Jahr 1883 ging das Werk in das alleinige Eigentum des Unternehmens Villeroy & Boch über und firmierte als „Cristallerie Villeroy & Boch“. Die Produktpalette wuchs nun stetig, auch um mundgeblasene und am Ofen dekorierte Gläser. Die Wadgasser Produkte fanden auf nationalen und internationalen Messen große Beachtung. So wurde das Unternehmen z.B. auf der Weltausstellung 1880/81 in Melbourne mit einem dritten Preis für „Luxusglas“ ausgezeichnet. Es folgten ab 1884 zahlreiche Trinkglasgarnituren mit speziellen Schliffen, Guillochen und Gravuren. Der Zweite Weltkrieg und die wirtschaftlich schwachen Nachkriegsjahre erforderten die Produktion einfacherer Produkte mit weniger dekorativen Schliffen. Durch den wirtschaftlichen Anschluss an Frankreich passte man sich zunächst dem französischen Geschmack an. Bis 1965 wurde die Produktion komplett auf Bleikristall umgestellt.

Die 1883 errichtete „Alte Fabrik“, ein zweigeschossiger kreuzförmiger Bau mit großen Rundbogenfenstern, bildete jahrelang das Zentrum des Wadgasser Werkes und wurde 1986 stillgelegt. In dem denkmalgeschützten Industriebau sind die Schmelzöfen erhalten geblieben. Das Gebäude diente in den 1990er Jahren als Spielstätte für das Sommertheater. Anfang der 1990er Jahre wurde die Produktion in Wadgassen gänzlich eingestellt, wobei noch bis 2010 zu Vorführzwecken Kristallglas gefertigt wurde.

Seit 2012 befindet sich auf dem Gelände das Outlet Center Wadgassen. Durch diese Umnutzung ist es gelungen, das letzte monumentale Zeugnis der Glasindustrie im Saarland zu erhalten. Im Rahmen der Nachnutzung wurde der Kernbau der „Alten Fabrik“ von jüngeren Anbauten freigestellt, gesichert und das Dach neu mit Herzziegeln eingedeckt. Das Erdgeschoss der „Alten Fabrik“ wird heute als Verkaufsfläche von Geschäften genutzt, wobei versucht wurde, möglichst die historische Technik in die Ladengeschäfte einzubeziehen. So ist es gelungen, die beiden alten Glasöfen zu erhalten. Um den Bau der „Alten Fabrik“ gruppieren sich einige Neubauten mit weiteren Geschäften, wobei die Bausubstanz der ehemaligen Cristallerie das Areal dominiert.

Auf dem Abteigelände haben sich u.a. der Abteiweiher, Teile der Klostermauer sowie Sockelreste der Abteikirche erhalten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich mit dem „Abteihof“ eines der wenigen erhaltenen Gebäude der ehemaligen Prämonstratenserabtei. Er beherbergt heute das Deutsche Zeitungsmuseum der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz.