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Kindeswohlgefährdung

„Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn das körperliche, geistige und seelische Wohl eines Kindes durch das Tun oder Unterlassen der Eltern oder Dritter gravierende Beeinträchtigungen erleidet, die dauerhafte oder zeitweilige Schädigungen in der Entwicklung des Kindes zur Folge haben bzw. haben können. Bei einer Gefährdung muss die Beeinträchtigung, die das Kind erleidet, gravierend sein und es muss die biographisch zeitliche Dimension beachtet werden.“

Aus: Deutsches Jugendinstitut. Heinz Kindler u.a.(HG): Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und allgemeiner Sozialer Dienst. September 2004.

Die Verpflichtung von Lehrkräften/Schulleitungen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung tätig zu werden, ist in den §§ 21 und 28 Schulordnungsgesetz (SchoG) in Verbindung mit § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) verankert. Demnach sind Lehrkräfte Berufsgeheimnisträger:innen. Werden ihnen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren und ihm die Daten des Kindes oder des/der Jugendlichen mitzuteilen, wenn die Gefährdung nicht durch andere Maßnahmen abgewendet werden kann.

Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefaehrdung (PDF, 39KB, Datei ist nicht barrierefrei)

Link zu „Insofa“-Beratung nach §8a SGB VIII – Fachberatungsfachkräfte in den Beratungsstellen

Was ist Kindeswohlgefährdung

Als Kindeswohlgefährdung gilt bereits seit den 1950er Jahren „eine gegenwärtige in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“ (BGH FamRZ.1956). Gemäß dieser Definition müssen drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein, um von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen:

  1. Die Gefährdung muss gegenwärtig sein.
  2. Die gegenwärtige oder zukünftige Schädigung muss erheblich sein.
  3. Die Schädigung muss sich mit ziemlicher Sicherheit vorhersehen lassen, sofern sie noch nicht eingetreten ist.

Auch Schülerinnen und Schüler, von denen eine Gefahr für andere ausgeht, gelten selbst als gefährdet. Neben der Gefahrenabwehr und eventuellen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen ist in jedem Fall auch eine Prüfung erforderlich, ob sich aus ihrem Verhalten Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung ergeben.

Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung

Entsprechende Beispiele für Anhaltspunkte, die einzeln oder in der Summe von mehreren Beobachtungen auf eine Gefährdung hindeuten können, sind im Folgenden aufgelistet.

Äußere Erscheinung des Kindes oder der/des Jugendlichen

  • massive oder wiederholte Zeichen von Verletzungen (z.B. Blutergüsse, Striemen, Narben, Knochenbrüche, Verbrennungen) ohne erklärbar unverfängliche Ursache bzw. häufige Krankenhausaufenthalte aufgrund von angeblichen Unfällen
  • mangelnde medizinische Versorgung (z.B. unversorgte Wunden und Krankheiten)
  • erkennbare Unterernährung
  • erkennbarer Flüssigkeitsmangel (Dehydrierung)
  • Fehlen jeder Körperhygiene (z.B. Schmutz- und Kotreste auf der Haut des Kindes, faulende Zähne)
  • mehrfach völlig witterungsunangemessene oder völlig verschmutzte Bekleidung

Verhalten des Kindes oder der/des Jugendlichen

  • aggressives Verhalten, z.B. wiederholte oder schwere gewalttätige und/oder sexuelle Übergriffe gegen andere Personen
  • Kind/Jugendliche/r wirkt berauscht und/oder benommen bzw. im Steuern seiner Handlungen unkoordiniert (Einfluss von Drogen, Alkohol, Medikamente)
  • wiederholtes apathisches oder stark verängstigtes Verhalten des Kindes/Jugendlichen
  • Äußerungen des Kindes/Jugendlichen, die auf Misshandlungen, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung hinweisen
  • Kind oder Jugendliche/r hält sich wiederholt zu altersunangemessenen Zeiten ohne Erziehungsperson in der Öffentlichkeit auf (z.B. nachts allein auf dem Spielplatz)
  • Kind/Jugendlicher hält sich an jugendgefährdenden Orten auf (z.B. Stricherszene, Lokale aus der Prostituiertenszene, Spielhalle, Nachtclub)
  • offensichtlich schulpflichtige Kinder/Jugendliche bleiben ständig oder häufig der Schule fern
  • Kind/Jugendliche/r begeht häufig Straftaten

Verhalten der Erziehungspersonen der häuslichen Gemeinschaft

  • wiederholte oder schwere Gewalt zwischen Erziehungspersonen
  • nicht ausreichende oder völlig unzuverlässige Bereitstellung von Nahrung
  • massive oder häufige körperliche Gewalt, verherrlichende oder pornographische Medien
  • Gewährung von unberechtigtem Zugang zu Waffen
  • Verweigerung der Krankheitsbehandlung oder der Förderung von Kindern/Jugendlichen mit Behinderung
  • Isolierung des Kindes/Jugendlichen (z.B. Kontaktverbot zu Gleichaltrigen)
  • Unvermögen der Erziehungspersonen, Gefährdungen vom Kind/Jugendlichen abzuwenden bzw. fehlende Problemeinsicht
  • mangelnde Kooperationsbereitschaft, Unvermögen, Absprachen einzuhalten und Hilfen anzunehmen
  • psychische Misshandlungen (z.B. Erniedrigungen, Verspotten, Entwerten)

Familiäre Situation

  • wiederholter unbekannter Aufenthalt der Familie
  • drohende oder tatsächliche Obdachlosigkeit (Familie bzw. Kind lebt auf der Straße)
  • Kleinkind wird häufig oder über einen längeren Zeitraum unbeaufsichtigt oder in Obhut offenkundig ungeeigneter Personen gelassen
  • Kind/Jugendliche/r wird zur Begehung von Straftaten oder sonst verwerflichen Taten eingesetzt (z.B. Diebstahl, Bettelei)
  • Persönliche Situation der Erziehungsberechtigten der häuslichen Gemeinschaft
  • stark verwirrtes Erscheinungsbild (z.B. führt Selbstgespräche, reagiert nicht auf Ansprache)
  • häufig berauschte und/oder benommen bzw. eingeschränkt steuerungsfähige Erscheinung, die auf massiven, verfestigten Drogen-, Alkohol- bzw. Medikamentenmissbrauch hindeutet
  • psychische Krankheit besonderen Ausmaßes

Schüler/-innen, die andere erheblich gefährden

Bei folgenden von Schülerinnen oder Schülern verübten Taten gegen andere Schülerinnen und Schüler oder gegen Lehrkräfte ist in der Regel von einer erheblichen Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Opfer auszugehen:

  • massive körperliche Gewalt
  • Mobbing, Cybermobbing
  • Drohungen
  • Erpressung/Raub
  • Mitbringen gefährlicher Gegenstände, Waffen
  • Weitergabe von illegalen Suchtstoffen

Liegt eine unmittelbare Gefahrenlage vor, ist ein sofortiges Eingreifen erforderlich, soweit dies ohne eigene Gefährdung möglich ist. Die Polizei ist sofort zu benachrichtigen.

Auch bei einer nicht unmittelbaren Gefahrenlage sind die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die drohende Gefahr abzuwenden. Gegebenenfalls ist die Strafverfolgungsbehörde einzuschalten.

Ausschließlich im Fall einer extremen Gefahrenlage, z. B. wenn hinreichende Anzeichen für einen bevorstehenden Amoklauf vorliegen bzw. eine entsprechende Tat angekündigt wurde, ist gem. § 21 Abs. 6 SchoG zu verfahren. Das bedeutet:

  • unverzügliche Information der Polizei über die Gefahrenlage
  • unverzügliche Information der Erziehungsberechtigten, der Schulaufsichtsbehörde sowie des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe

Vorgehensweise Lehrkräfte/Schulleitung

Auch für Lehrkräfte bzw. Schulleitungen ergeben sich keine Neuerungen. Sie sind bereits vom § 4 KKG erfasst. Werden Lehrkräften/Schulleitungen an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.

Auch Lehrkräfte/Schulleitungen haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine InsoFa. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren.

Scheidet eine Abwendung der Gefährdung aus oder bleiben die Gespräche mit den Betroffenen erfolglos, so sind die Lehrkräfte/Schulleitungen befugt, das Jugendamt unter Mitteilung der erforderlichen Daten zu informieren. Die Betroffenen sind vorab darauf hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird.

Wenn nach Einschätzung der Lehrkraft/Schulleitung eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen das Tätigwerden des Jugendamtes erfordert, ist dieses unverzüglich zu informieren.

Vorgehensweise von pädagogischen Fachkräften im Bereich der außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangebote unter schulischer Aufsicht

Für den Bereich der außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangebote unter schulischer Aufsicht wurde mit der Einführung des neuen § 29a SchoG eine bislang bestehende Regelungslücke geschlossen. Für die in den vorgenannten Angeboten tätigen pädagogischen Fachkräfte wird nunmehr vorgegeben, dass sie, sofern ihnen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt werden, die jeweils zuständige Schulleitung davon in Kenntnis zu setzen haben. Diese Regelung ist bereits im Dezember 2023, nach Verkündung des Gesetzes im Amtsblatt des Saarlandes in Kraft getreten.

Gemäß § 8b Absatz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) haben die vorgenannten Fachkräfte bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall gegenüber dem örtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft (InsoFa). Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren.

Die Information der Schulleitung erfolgt insbesondere im Hinblick darauf, dass diese die allgemeine Aufsicht und Gesamtverantwortung für den Schulbetrieb einschließlich der außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangebote unter schulischer Aufsicht trägt.

Für pädagogische Fachkräfte, wie beispielsweise Schulsozialarbeiter*innen, für die bereits anderweitige Regelungen (insbesondere §8a SGB VIII, § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) zum Umgang mit Kindeswohlgefährdungen bestehen, ergeben sich keine Änderungen.

Beachtung des Datenschutzes und Informationsverpflichtungen gegenüber den Betroffenen

Die Betroffenen sowie deren Eltern bzw. Personensorgeberechtigte sind über die Notwendigkeit der Einschaltung des Jugendamtes vorab zu informieren, soweit dadurch nicht der wirksame Schutz des Kindes bzw. des/der Jugendlichen in Frage gestellt wird.

Der Schulpsychologische Dienst, die einbezogene Insoweit erfahrene Fachkraft (INSOFA) sowie auch der/die Schoolworker/-in dürfen ausschließlich pseudonymisierte Informationen von der Lehrkraft erhalten.

Maßnahmen, die je nach Sachverhalt und Situation in Frage kommen können

  • Erörterung der Situation mit dem Kind, dem/der Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten
  • Hinwirken auf die Inanspruchnahme von Hilfen (z.B. medizinische Hilfe, Beratungsstelle)
  • Hilfsangebote durch Sozialarbeiter/-innen bzw. Schoolworker/-innen in der Schule
  • Hinweis auf Frühinterventionsmaßnahmen bei Suchtmittelmissbrauch (z.B. HaLT, FreS, Aufsuchen von Beratungsstellen)
  • Zielvereinbarungen und Gespräche bezüglich der Zielerreichung
  • Hinweis auf Konsequenzen, z.B. strafrechtliche Ermittlungen
  • Ordnungsmaßnahmen (§ 32 SchoG), z.B. schriftlicher Verweis, Überweisung in eine parallele Klasse oder Unterrichtsgruppe, Ausschluss von besonders bevorzugten Schulveranstaltungen bei fortbestehender Verpflichtung zur Teilnahme am Unterricht während dieser Zeit, Androhung des zeitweiligen Ausschlusses vom Unterricht, Ausschluss vom Unterricht bis zu drei Unterrichtstagen, bei beruflichen Schulen in Teilzeitform für einen Unterrichtstag, Ausschluss vom Unterricht bis zu zwei Unterrichtswochen, Androhung des Ausschlusses aus der Schule, Ausschluss aus der Schule

Schulische Maßnahmen können präventiv und unterstützend wirken

  • Angebote zur Stärkung der Persönlichkeit und zur Förderung der Sozialkompetenz (z. B. Erwachsen werden, Klasse2000, MindMatters, START bzw. START Kids)
  • Gewaltpräventionsprojekte (z.B. Schüler/-innen-Mediation)
  • Vorträge und Workshops mit Externen
  • Erlebnispädagogische Maßnahmen