4.2 Konsequenzen für den Alltag an der Saar
Auch nach dem Referendum und der Wiedereingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik zum 1. Januar 1957 hielt die Beleidigungs- und Klagewelle durch respektive gegen Presseartikel noch lange an. Nun waren es jedoch vor allem politische Vertreter der seit 1956 in Regierungsverantwortung stehenden Heimatbundparteien, die gegen vorgebliche oder tatsächliche Beleidigungen durch Presseorgane vorgingen. Hans Reichel, Besitzer des Saarland Verlags und Herausgeber der CVP-nahen „Saarlandbrille“, die sich als „die führende saarländische Wochenzeitung“ bezeichnete und ihren Lesern „Politik – Unterhaltung – Kritik – Satire“ versprach, geriet im Laufe des Jahres 1957 gleich mehrfach in den Blick der Saarbrücker Staatsanwaltschaft, da etliche Personen gegen einschlägige Artikel der „Saarlandbrille“ juristisch vorgingen. Am 23. Februar 1957 stellten die acht Mitglieder der Landtagsfraktion der SPD Strafanzeige wegen der Behauptung, unter ihnen befände sich ein für die französische Sûreté tätiger Spitzel.
Titelblatt der Saarlandbrille Nr. 5 1957 sowie Seite 3 hier zum Download
In den Bereich der Realsatire gehört die Klage des Polizeirats Oppenberg gegen den Artikel „Männeke-Piss im Bierzelt“.
Darin war berichtet worden, Oppenberg habe während des letzten Saarbrücker Oktoberfestes in betrunkenem Zustand ins Bierzelt uriniert. Das Schöffengericht beim AG Saarbrücken verurteilte Reichel am 28. Juni 1957 wegen übler Nachrede in der Öffentlichkeit zu einer Geldstrafe von 50.000 Francs, ersatzweise 10 Tage Gefängnis.
Aufgrund der Berufung des Angeklagten beim Landgericht wurde die Strafe am 16.3.1959 auf 20.000 Francs herabgesetzt, ein Antrag Reichels auf Revision der landgerichtlichen Entscheidung wurde vom Strafsenat des OLG Saarbrücken am 3. Juni 1959 verworfen.
Weitaus härter traf Reichel das Urteil des Amtsgericht-Schöffengerichts vom 15. Mai 1957, das gegen ihn wegen übler Nachrede gegenüber Arbeitsminister Kurt Conrad und dem SPD-Landtagsabgeordneten Norbert Engel eine fünfmonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung verhängte.
Im September 1958 hob die 1. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken das Urteil des Schöffengerichts auf und stellte das Verfahren auf Kosten des Angeklagten ein. Zuvor hatte Reichel in der Hauptverhandlung eine Ehrenerklärung abgegeben und die Beleidigten Conrad und Engel ihre Strafanträge zurückgenommen.
Die kleine Wiedervereinigung 1957/59 brachte ferner eine ganze Flut an Folgeproblemen mit sich, die gelöst werden mussten. Aufgrund der legislativen Eigenständigkeit des Saarlandes sowie des wirtschaftlichen Anschlusses an Frankreich galt es nunmehr innerhalb kürzester Zeit das im Saarland geltende Recht an die bundesrepublikanischen Verhältnisse anzupassen. Gleichwohl sämtliche Rechtsbereiche hiervon betroffen waren – freilich in unterschiedlicher Intensität –, war es nicht damit getan, mit dem Beitritt zur BRD pauschal auf „deutsches Recht“ umzustellen. Vielmehr mussten unzählige Übergangs-, Überleitungs- und Änderungsbestimmungen erarbeitet werden. In den Ministerien und Amtsstuben wurden die bisherigen Dienststempel ausgemustert und durch neue ersetzt. Ein im Straßenverkehr sichtbares Zeichen dieser Rechtsanpassungen war die Umstellung der KfZ-Kennzeichen auf das bundesrepublikanische System. Ausgestattet mit den neuen KfZ-Kennzeichen, konnte schon wenige Jahre später die bereits im Sommer 1956 begonnene neue Autobahn nach Mannheim befahren werden, die den Anschluss an das westdeutsche Fernstraßennetz sicherstellte. Ein längerer Prozess, der sich noch bis in die frühen 1960er Jahre hinzog, war die Integration des saarländischen Telefonnetzes in das Netz der Bundesrepublik, da sich die Vorwahlnummern – im posttechnischen Verkehr auch Ortsnetzkennzahlen genannt – in Teilen überschnitten. Erst durch eine schrittweise Entflechtung wurden konnte dieser Missstand behoben werden.
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