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Echolot 02: Der Saarstaat

Der Saarstaat / L’Etat Sarrois
Bilder einer vergangenen Welt
Images d’un monde passé

vergriffen

Vor 50 Jahren endete im Saarland eine Zeit, die für viele Menschen fast in Vergessenheit geraten ist. Dabei war es ein überaus denkwürdiges Jahrzehnt, das mit der zweiten saarländischen Volksabstimmung am 23. Oktober 1955 seinen abrupten Abschluss fand. 700 Fotografien laden zu einer Entdeckungsreise durch die Welt des Saarstaates ein.

Inhalt

Es war das Jahrzehnt eines politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Neubeginns nach der nationalsozialistischen Katastrophe. Die Dekade, in der die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs physisch und psychisch überwunden werden mussten. Es war die Zeit, in der man an der Saar wie in Westdeutschland den Weg ins Wirtschaftswunder ging. Ganz anders als in Adenauers Bundesrepublik war es an der deutsch-französischen Grenze aber auch die Zeit der großen Experimente.

Das größte und gewagteste Experiment war der Staat selbst. Entstanden als das Produkt einer wechselvollen Beziehung zwischen zwei ehemaligen „Erbfeinden“ entwickelte sich das Saarland nach dem Krieg zu einem teilautonomen Staat unter starkem französischem Einfluss. Mit Paris verband die Saar nicht nur der gleiche Wirtschafts- und Währungsraum. Auch kulturelle Impulse oder die politische „Supervision“ der Saarbrücker Regierung durch einen französischen „Hohen Kommissar“ ließen das Land von Ministerpräsident Johannes Hoffmann – zumindest für seine Kritiker – als unerwünschten Ableger der „Grande Nation“ erscheinen. Die „Saarfranzosen“ wurden zu einem allseits bekannten Begriff, den viele noch heute missverstehen.

Jenseits des deutsch-französischen Spannungsfeldes und einer vielfach kritisierten, weil autoritären saarländischen Regierungspraxis wurden Pläne für den Staat an der Saar entwickelt, die ihn im Falle ihrer Realisierung zu einem Modell für die europäische Integration gemacht hätten. Unter Beibehaltung der inneren Souveränität sollte das Saarland, nach außen vertreten durch einen Europäischen Kommissar, in einen supranationalen Staatenbund integriert werden. Saarbrücken sollte zum Sitz europäischer Behörden, zur europäischen Montanhauptstadt werden. Die Pläne für eine „Europäisierung“ der Saar scheiterten am Willen der saarländischen Wähler. In der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1955 sprachen sie sich mit großer Mehrheit gegen das von Deutschland und Frankreich bereits ratifizierte Saarstatut aus. Damit ging das zehnjährige saarländische Staatsexperiment zu Ende.

Trotz seines Scheiterns hat dieses Experiment Spuren hinterlassen, die weit über das Ende des Saarstaates hinauswirken. Nicht nur die Tatsache, dass aus einem alten Industrierevier schließlich ein wenn auch kleines, so doch eigenständiges Bundesland wurde, ist dieser Geschichte geschuldet. Auch die Mentalität der Menschen an der Saar, die heute das (französische) „savoir vivre“ als kulturelles Selbstverständnis thematisieren, ist in jenen Jahren deutlich geprägt worden. Und vor allem wird die Rolle der Saar als deutsch-französisches Brückenglied in einem grenzüberschreitenden Laboratorium von Politikern und Bürgern immer wieder unterstrichen.

Es gibt also viele gute Gründe, auf die Geschichte des Saarstaates zurückzublicken, in die Aufbruchszeit der späten 40er-Jahre ebenso einzutauchen wie in die Umwälzungen der „goldenen Fünfziger“. Der vorliegende zweisprachige Band „Der Saarstaat / L’Etat Sarrois“ ermöglicht solche Einblicke in einer bisher noch nicht präsentierten Form und Fülle. Auf 400 Seiten lassen zahllose großformatige Fotografien jene vergangene Welt wieder lebendig werden, die längst Geschichte geworden ist. Die noch kaum oder gar nicht publizierten Bilder, die sowohl qualitativ als auch in ihrer Motivwahl und Komposition beeindrucken, entstammen zum großen Teil der Fotoagentur Erich Oettingers, der in der Zeit des Saarstaates die großen (regionalen) Zeitungen mit seinen Aufnahmen belieferte. Bis zu einem gewissen Grad wird in diesem Band also auch jenes medial vermittelte Bild rekapituliert, das der Saarstaat selbst von sich hatte.

Ein Schwerpunkt dieses zweiten Bandes der Reihe ECHOLOT sind die politischen Innen- und Außenansichten des kurzlebigen Kleinstaates an der Saar. Seine Akteure werden in den unterschiedlichen Handlungszusammenhängen ebenso ins rechte Licht gerückt wie seine Machtzentren oder seine Selbstdarstellung in Symbolen und staatlichen Feiern. Das besondere Augenmerk des Bandes gilt daneben der neuen Kultur, die nach dem Krieg im Saarland Einzug hielt. Die Bilder aus der Kunst- und Theaterwelt, von großen kulturellen Ereignissen oder von der neu gegründeten Landesuniversität zeigen noch heute ein Stück jener Aufbruchstimmung, die damals im Saarland herrschte. Ein dritter Schwerpunkt des „Saarstaats“ widmet sich dem Wirtschafts-, Arbeits- und Alltagsleben zwischen 1945 und 1955. Wie aus einer apokalyptischen Trümmerlandschaft langsam neue Wirtschaftskraft erwuchs, wie sehr Sport und neue Medien die Menschen fesselten und wie die neuen Sozialleistungen mehr Sicherheiten brachten: auch dazu hat dieser Band in Bild und Wort einiges zu sagen. Den Abschluss des Buches macht wieder ein „politisches“ Kapitel. Die Fotografien in diesem Teil zeigen einerseits, in welchen Formen sich die Europa-Idee innerhalb und außerhalb des Saarlandes niedergeschlagen hat. Sie dokumentieren andererseits die Auseinandersetzungen um das europäische Saarstatut, die mit einem eindeutigen Sieg der Nein-Sager endeten, was schließlich zum (Wieder)Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik Deutschland führte.

Die historischen Fotografien stehen eindeutig im Vordergrund dieses Bandes über den Saarstaat. Viele der ästhetisch anspruchsvollen Bilder sprechen für sich, ziehen den Betrachter in ihren Bann, laden zum Verweilen und Entdecken ein. Dennoch sollte der Betrachter mit der Botschaft der Bilder nicht alleine gelassen werden. Deswegen wurden etwa 500 Fotos auf 26 thematisch orientierte Kapitel verteilt, die mit kurzen Texten eingeleitet werden. Außerdem geben ausführliche Bildunterschriften weitere Informationen zu den einzelnen Bildern sowie zu den Kontexten, in denen sie entstanden sind. In das Gesamtthema des Buches führt ein etwas ausführlicherer Text ein. Er gibt einen informativen  Überblick über Entstehung und Entwicklung des Saarstaates und orientiert den Leser entlang den in den Großkapiteln gesetzten Schwerpunkten.

INHALT   -   SOMMAIRE
Einleitung   -   Introduction
Ein Land im Experiment. Die Saar 1945-1956   -   Une expérience d’Etat: la Sarre entre 1945 et 1956
  
Nach der Katastrophe   -   Après la catastrophe
Welt aus Trümmern   -   Un monde en détresse
Gedenk Mal!   -   Devoir de mémoire
Es geht um die Wurst   -   Les étals à nouveau remplis
Endstation Heimat   -   Retour dans les foyers
Wiederauf und Neubau   -   Construction et reconstruction
  
Der Staat an der Saar   -   Un Etat au pays de la Sarre
Wie man Staat macht   -   La construction d’un Etat : mode d’emploi
Der 14. Juli   -   Le 14. juillet
Grenzerfahrungen   -   Expériences frontalières
Der Landesübervater   -   Le bon père de la nation
Französische Botschaften   -   Ambassades francaises
  
Neue Kultur   -   Culture nouvelle
Hohe Bildung zum höheren Zweck   -   Une bonne formation à des fins plus ambitieuses?
Große Kunst im kleinen Land   -   Un grand art pour un petit pays
Die Neuen Medien   -   Les nouveaux médias
Am Hof von Chateau Halberg   -   A la cour du chateau Halberg
Kanzel gegen Kanzlei   -   L’église contre la chancellerie
Sport ist gut für Leib und Land   -   Le sport est bon pour le corps et le pays
  
Wirtschaft und Gesellschaft   -   Economie et société
Schwer industriell   -   Le poids de l’industrie
Wirtschaft als Politik   -   L’économie pour politique
Der Gruben-Hütten-Ackerer   -   Les bucheurs miniers et sidérurgistes
„Schwedische“ Saar   -   Un parfum de Suède en Sarre
Alltag wird alltäglich   -   Le quotidien redevient banal
  
Von der Eurovision zur Wiederverenigung   -   De l’eurovision à la réunification
Saaropa?   -   Une Sarre européenne?
JA!   -   OUI
NEIN, NEIN!   -   NON, NON!
Wählen und Zählen   -   Le vote et le dépouillement
Der mobile Anschluss   -   Le raccordement mobile

 

Paul Burgard / Ludwig Linsmayer
Der Saarstaat / L’Etat Sarrois
Bilder einer vergangenen Welt
Images d’un monde passé
(ECHOLOT. Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Band 2.  Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung zur Förderung des Landesarchivs Saarbrücken von Ludwig Linsmayer)
Deutsch-Französische Ausgabe
Saarbrücken 2005
399 Seiten, Hardcover, Fadenheftung
270 x 255 mm
Circa 700 Fotografien
ISBN 3-980 85 56-2-7
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