Schutz jüdischen Lebens ins Grundgesetz
Text des Gastbeitrags von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger in der FAZ vom 27.01.2025 anlässlich 80 Jahre Befreiung des KZ Auschwitz.
Heute vor achtzig Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der sowjetischen Roten Armee befreit. Damit endete eine barbarische Vernichtungsmaschinerie, die allein in diesem Lager über eine Million Menschen das Leben kostete - weit überwiegend Jüdinnen und Juden, aber auch polnische Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer, sowjetische Gefangene, Sinti und Roma, Homosexuelle und andere.
„Auschwitz“ steht seither für das mit nichts vergleichbare Menschheitsverbrechen, das von deutschem Boden ausging, von einer deutschen Regierung geplant und weitgehend von Deutschen befehligt und exekutiert wurde. In Auschwitz starb der aufklärerische Gedanke, dass die menschliche Gesellschaft sich fortschreitend immer weiter zivilisieren würde. Hier und in anderen Arbeits- und Vernichtungslagern wurden Menschen massenweise gequält, gefoltert, entwürdigt und ermordet – Männer, Frauen, Alte, Kinder. Es war die menschengemachte Hölle auf Erden. Der Holocaust hat gezeigt: Die Zivilisation ist – in Anlehnung an Fritz Bauer - nur ein dünner Firnis, der schnell aufbricht, wenn wir nicht aktiv etwas dagegen tun.
Es geht beim heutigen Gedenken darum, dieses Wissen nicht versiegen zu lassen. In diesem Sinne rief die im saarländischen Saarlouis geborene Auschwitzüberlebende Esther Bejarano der Jugend in Deutschland zu: „Ihr seid nicht schuldig für das, was damals geschehen ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts von dieser Geschichte wissen wollt.“
Die Ermordung der Juden durch die Nazis kam nicht überraschend und wer bereit war, hinzuschauen, der konnte sehen, was geschieht. Sie versteckten ihren Antisemitismus nie. Und auch ihre Gewalt- und Mordgelüste waren kein Geheimnis.
1945 endete die Hölle der nationalsozialistischen Vernichtungslager. „Wehret den Anfängen“ mahnen anständige Demokraten seither immer wieder. Und aus gutem Grund. Doch heute müssen wir sagen: Für „wehret den Anfängen“ ist es bereits zu spät.
Denn wer heute bereit ist, hinzuschauen, der kann sehen. Der Antisemitismus in Deutschland endete 1945 nicht und er zeigt sich erneut in schamloser Offenheit. Nie war in der Bundesrepublik so viel Schutz für jüdische Gemeinden notwendig wie heute. Eine Schande für unser Land!
Im November 2023 diskutierten Rechtsextreme über „Remigration“, ein Tarnbegriff für die millionenfache Ausweisung von Menschen aus Deutschland. Zehntausende demonstrierten dagegen. Heute wird der Begriff offen zum Vorhaben einer in Teilen rechtsextremen Partei in Deutschland erklärt. Wieder werden in Deutschland menschenverachtende Pläne offen angekündigt.
Kreml-Despot Putin reibt sich die Hände über eben diese Partei. Und extrem rechte Parteien sind nicht nur in Deutschland im Aufwind. Es bildet sich eine zunehmend vernetzte Internationale der Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Das alles zum ausgesprochenen Wohlgefallen Putins.
Auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Pogrome haben seit 1945 nicht aufgehört. Am 7. Oktober 2023 quälten, vergewaltigten und ermordeten Hamas-Barbaren über 1.200 Menschen in Israel und verschleppten 200 weitere als Geiseln. Das schlimmste Pogrom aus Juden-Hass seit 1945.
Jedem anständigen Demokraten müssen diese Entwicklungen große Sorge bereiten. Jüdinnen und Juden, aber auch vielen anderen, bereiten sie blanke Angst.
Und schon auf viel kleinerer Ebene wird das eigentlich Unsag- und Undenkbare Schritt für Schritt normalisiert. Doch auch, wenn es bereits zu spät ist, sich gegen die Anfänge zu wehren, können und müssen wir die Demokratie, die Menschenrechte und die Menschen jetzt erst recht vor dem Angriff ihrer Feinde aktiv verteidigen.
Es ist gut, dass die demokratische Mitte noch vor der Bundestagswahl die Resilienz des Bundesverfassungsgerichtes gestärkt hat. Wir tun auch in den Ländern gut daran, in überparteilichen Allianzen die Festigkeit unserer demokratischen Institutionen zu stärken. Das gilt auch für die Aufsichtsgremien von Universitäten, Museen und Gedenkstätten, deren unabhängige Forschung und Bildungsarbeit gesichert werden muss.
Spätestens seit Adorno wissen wir, dass Ziel aller Pädagogik sein müsse, Auschwitz zu verhindern. Bildung ist der Schlüssel zur Aufklärung und zur Prävention von Antisemitismus und Rassismus. Ich bin der Auffassung, dass jeder Schüler und jede Schülerin in Deutschland mindestens einmal eine KZ-Gedenkstätte besucht haben muss. Auch ist die nächste Bundesregierung gefordert, die Mittel für die politische Bildung in Deutschland wieder zu erhöhen.
Im Saarland werden wir vorschlagen, den Schutz jüdischen Lebens in die Landesverfassung aufzunehmen. Und ich fände das auch für unser Grundgesetz sinnvoll.
Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder als Konsequenz aus unserer historischen Verantwortung. Zu glauben, dass „nie wieder Auschwitz“ auch ohne unser aktives Zutun Wirklichkeit bleibt, ist naiv.
Es steckt kein Sinn im Holocaust-Tod von Millionen. Aber die Verantwortung für uns Nachgeborene. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass das „Nie wieder“ Geltung behält.