Der Spiegel vom 17. Februar 1954.Foto: Spiegelausgabe vom 17.02.1954, in: SaarLA_StAnw 22453
Der Saarstaat war in puncto politischer Mitbestimmung alles andere als ein demokratischer Musterstaat und verlor seit den frühen 1950er Jahren durch eine Reihe restriktiver Maßnahmen – Verbote der prodeutschen Parteien, Gewerkschaften und Presseorgane, polizeiliche Überwachung und Pressezensur – zunehmend an Rückhalt in der Bevölkerung. Eine der Folgen dieser Restriktionen waren Dutzende Strafverfahren wegen des Verteilens illegaler Flugblätter, wegen des Imports oder Schmuggels verbotener Zeitungen und wegen Verleumdung bzw. Beleidigung politischer Amtsträger. Im Februar 1954 etwa klagte der saarländische Justizminister Heinz Braun gegen den „SPIEGEL“, der ihn in einem Artikel vom 17. Februar der Mitwirkung an einem Gold- und Devisenschmuggel im Jahr 1948 beschuldigt hatte. Der Oberstaatsanwalt hatte bereits einen Tag vor Erscheinen des „SPIEGEL“ die Beschlagnahmung sämtlicher SPIEGEL-Exemplare bei der Firma Presse-Import GmbH Saarbrücken beantragt, die vom Amtsgericht Saarbrücken zunächst abgelehnt, von der 1. Strafkammer des Landgerichts jedoch am 18. Februar 1954 angeordnet wurde.
Noch am selben Tag ließ der saarländische Innenminister die Verbreitung des „SPIEGEL“ im Saarland aufgrund § 10 Ziffer 2 der Verordnung betreffend die vorläufige Regelung des Pressewesens vom 9.3.1948 für drei Monate verbieten.
Bekanntmachung des Ministers des Innern vom 18. Februar, in : StAnw 22453Foto: SaarLA_StAnw 22453
Presseartikel "Deutsche Saar" vom 13. August 1955, Rückseite: Wo waren sie 1939/45?, in StAnw 22796Foto: SaarLA_StAnw 22796 Presseartikel "Deutsche Saar" vom 13. August 1955
Wenig später stellte Heinz Braun Strafantrag wegen Beleidigung gegen die für die Veröffentlichung des Artikels verantwortlichen Personen. Ein hierauf gegen den Verleger des „SPIEGEL“ Rudolf Augstein und zwei verantwortliche Redakteure eingeleitetes Verfahren konnte nicht durchgeführt werden, weil die Vernehmung der Beschuldigten von Seiten der zuständigen Justizbehörden der Bundesrepublik abgelehnt wurde.
Eine der Bedingungen für das Pariser Saarabkommen vom 23. Oktober 1954, das den Rahmen des Referendums über das Saarstatut absteckte, war auch eine zeitlich begrenzte „totale“ politische Freiheit, die drei Monate vorher, also am 23. Juli 1955 einsetzen sollte: Alle bis dahin verbotenen Parteien – DPS, CDU, DSP etc. – wurden ebenso zugelassen wie verbotene Tageszeitungen – „Deutsche Saar-Zeitung“, Freie Saarpresse“, „Neueste Nachrichten“, „Deutsche Saar“ und etliche andere. Bis zur Abstimmung entwickelte sich in der Folge auch eine Presseschlacht, die oft genug zur Schlammschlacht mutierte, indem man mit meist ebenso unbeweisbaren wie unwiderlegbaren Diffamationen den politischen Gegner zu schädigen suchte, der seinerseits mit gerichtlichen Beleidigungs- und Unterlassungsklagen antwortete. Als Beispiel mag ein Artikel des DPS-Presseorgans „Deutsche Saar“ dienen, in dem Johannes Hoffmann und Heinz Braun aufs Übelste als Vaterlandsverräter, Deutschenhasser und Drückeberger diffamiert wurden. Der Strafantrag, den Heinz Braun am 14. August 1955 gegen den Hauptschriftleiter Ludwig Bruch stellte, blieb wegen angeblich fehlenden öffentlichen Interesses unbearbeitet, das Verfahren wurde schließlich im Februar 1956 eingestellt.
Heinz Braun an Oberstaatsanwalt beim Landgericht Saarbrücken, in: StAnw 22796Foto: SaarLA_StAnw_22796
Da die saarländische Regierung unter Johannes Hoffmann in den vorangegangenen Jahren rigide gegen prodeutsche Parteien und deren Vertreter vorgegangen war, wurde für die heiße Phase des Abstimmungskampfes ein freiheitlicher Rahmen geschaffen, der proeuropäischen wie prodeutschen Parteien ohne formelle Unterschiede Zugang zur Bevölkerung schaffte. Nur durch diesen modernen Burgfrieden, der sogar den gleichberechtigten Zugang der wettstreitenden Parteien zu Druckereien regelte, war ein zumindest auf dem Papier ein fairer Wettstreit der politischen Ideen möglich.
Die rechtlichen Grundlagen der Volksabstimmung wurden im Amtsblatt vom 23. Juli 1955 veröffentlicht. Das Gesetz Nr. 457 zur Durchführung der Volksbefragung über die Billigung des Europäischen Statuts für das Saarland (VBG) eröffnete allen politischen Parteien gleiche Rechte und Einwirkungsmöglichkeiten auf den Willensbildungsprozess der Bevölkerung. Mit dem Vereinsgesetz (Nr. 458) vom 8. Juli 1955 wurde die (Neu-)Bildung der bis dahin verbotenen prodeutschen Parteien ermöglicht.
Ankunft englischer Wahlbeobachter auf dem Flugfeld in Zweibrücken im Oktober 1955. (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA)Foto: SaarLA_B 800
Ferner wurde ein internationales Team aus fünf Wahlbeobachtern zusammengestellt, das den reibungslosen und ordnungsgemäßen Ablauf des Referendums zu überwachen hatte. Deutsche, Franzosen und Saarländer konnten nicht zu Mitgliedern dieser Kommission berufen werden.
Bestimmungen über die Zusammensetzung und Aufgaben der Kontrollkommission für die Volksbefragung.Foto: SaarLA_AA 131
Pressemitteilung zur Ernennung der fünf Kommissionsmitglieder aus Belgien, Großbritannien, den Niederlanden, Italien und Luxemburg.Foto: SaarLA_AA 131
Kurios mutet hierbei die in den Akten überlieferte Privatinitiative eines Schweizer Juristen an, der sich im Vorfeld der Abstimmung initiativ als unabhängiger Wahlbeobachter beworben hatte.
Der Schweizer Jurist Dr. Oscar Härdy bot der saarländischen Regierung im Mai 1955 seine Mitwirkung an der Durchführung der Volksabstimmung an. Nach eigener Auskunft verfüge er nicht nur über die notwendigen Sprachkenntnisse, sondern auch die Verhältnisse an der Saar seien ihm wohlbekannt, da er bereits bei der Abstimmung vom 13. Januar 1935 zwei Abstimmungslokale in Ludweiler und Forbach geleitet habe.Foto: SaarLA_AA 131
Die grundsätzliche Bedeutung der Abstimmung im sich manifestierenden Kalten Krieg war allen Beteiligten deutlich bewusst. Die internationale Presse betonte nachdrücklich die Bedeutung einer nachhaltigen Beilegung der Saarfrage und berichtete regelmäßig über den gewählten Lösungsansatz.
Internationale Pressestimmen zur Saarfrage, zusammengestellt von Peter Scholl-Latour (1924–2014), der 1954–1955 als Sprecher der saarländischen Regierung tätig war. Die britische Zeitung The Times veröffentlichte am 7. März 1955 einen Beitrat zum „Europäischen Knoten“ und spielte damit auf die Lösung des Gordischen Knotens aus der griechischen Mythologie an. Auch die ägyptische Tageszeitung „Die Pyramiden“ berichtete am 8. Dezember 1952 über die Saarfrage.Foto: SaarLA_AA 817
Internationale Pressestimmen zur Saarfrage, zusammengestellt von Peter Scholl-Latour (1924–2014), der 1954–1955 als Sprecher der saarländischen Regierung tätig war. Die britische Zeitung The Times veröffentlichte am 7. März 1955 einen Beitrat zum „Europäischen Knoten“ und spielte damit auf die Lösung des Gordischen Knotens aus der griechischen Mythologie an. Auch die ägyptische Tageszeitung „Die Pyramiden“ berichtete am 8. Dezember 1952 über die Saarfrage.Foto: SaarLA_AA 817
Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Motiven der allenthalben im öffentlichen Raum aufgestellten Wahlplakaten eindrücklich wider. Häufig karikiert wurde der vehement für das Saarstatut eintretende Ministerpräsident Hoffmann – „Der Dicke muss weg“ wurde in den Monaten vor der Abstimmung zur erfolgreichsten Parole des Abstimmungskampfes. Familienglück durch Europäisierung (Urheber: Europa-Bewegung)Foto: SaarLA_Plakat 169 1°
Die SPS erinnert an den Krieg und seine noch immer sichtbaren Folgen. (Urheber: Sozialdemokratische Partei Saar)Foto: SaarLA_Plakat 122 1°
Die CVP erinnert an die Brückenfunktion, die ein europäisiertes Saarland für die Verständigung zwischen Frankreich (dargestellt als Marianne) und Deutschland (Michel) haben werde. (Urheber: Christliche Volkspartei Saar)Foto: SaarLA_Plakat 167 1°
Die Gegner des Statuts rekurrieren auf die Person des bekennenden Europäers und Ministerpräsidenten Hoffmann. (Urheber: Kommunistische Partei)Foto: SaarLA_Plakat 111 a 1°
Die Gegner des Statuts rekurrieren auf die Person des bekennenden Europäers und Ministerpräsidenten Hoffmann. (Urheber: Deutsche Sozialdemokratische Partei Saar)Foto: SaarLA_Plakat 93 1°
Die DPS sät Zweifel an den Zusagen Frankreichs. Aufgegriffen wurde auf diesem Plakat eine Karikatur der westdeutschen Tageszeitung „Rheinischer Merkur“, welche in der Bundeshauptstadt Bonn erschien. Vermutlich ungewollt wird hierdurch zugleich die Unterstützung der Nein-Sager durch die BRD sichtbar. (Urheber: Demokratische Partei Saar)Foto: SaarLA_Plakat 10 1°
Unterstützung durch westdeutsche Gruppen lässt sich auch an diesem PKW ablesen, der – freilich im Vorfeld der Neuwahlen des Landtags vom Dezember 1955 – für die CDU Saar wirbt. Standesgemäß dient ein Mercedes-Benz als Wahlkampfwagen, der auf einer symbolischen Ebene einen wirtschaftlichen Aufschwung verspricht wie er im westdeutschen Wirtschaftswunder realisiert wurde. (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA)Foto: SaarLA_N PressPhA 181_8_bearb
Trotz der Intensität des Abstimmungskampfes, der sich auf die Frage „Ja oder Nein?“ verkürzte, blieb dennoch Gelegenheit zum gemeinsamen Verschnaufen. Die große Politik ist jedoch auch hier allgegenwärtig und auf eigens aufgestellten Plakatwänden weithin sichtbar. (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA)Foto: SaarLA_N PressPhA 207_8_bearb
Ladengeschäfte mit Fensterflächen wurden zur wilden Plakatierung genutzt. Der Geschäftsinhaber versuchte offensichtlich erfolglos, die „Nein“-Aufkleber auf seinen Fenstern wieder abzukratzen – ob aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen, um politisch andersdenkende Kunden nicht zu verprellen, wird dabei heute nicht mehr deutlich.Foto: SaarLA_B 1043_19 C_bearb
Im Nachlass des Dudweiler Architekten Julius Rehmert ist ein mit Aufklebern versehener Aktenordner überliefert. Die Karikatur bezieht sich auf den saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, der vehement für die Annahme des Saarstatuts geworben hatte. Derartige Aufkleber wurden massenhaft in Umlauf gebracht und waren überall zu sehen. Auf der Innenseite des Vorderdeckels wird „JoHo“ unter optischem Rückgriff auf die Farben der französischen tricolore als „Werkzeug der Franzosen“ bezeichnet.Foto: SaarLA_NL.Rehmert Ordner außen
Im Nachlass des Dudweiler Architekten Julius Rehmert ist ein mit Aufklebern versehener Aktenordner überliefert. Die Karikatur bezieht sich auf den saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, der vehement für die Annahme des Saarstatuts geworben hatte. Derartige Aufkleber wurden massenhaft in Umlauf gebracht und waren überall zu sehen. Auf der Innenseite des Vorderdeckels wird „JoHo“ unter optischem Rückgriff auf die Farben der französischen tricolore als „Werkzeug der Franzosen“ bezeichnet.Foto: SaarLA_NL.Rehmert Ordner innen
Die sehr emotional geführten Veranstaltungen in den Wochen vor dem 23. Oktober 1955 führte ferner nicht selten zu körperlichen Auseinandersetzungen und dem Einsatz von Gummiknüppeln und Wasserwerfern. Medienvertreter, die von den politischen Veranstaltungen berichteten, trugen vereinzelt sogar weiße Schutzhelme, die vorne mit „PRESSE“ und am Hinterkopf mit „NICHT SCHLAGEN“ bedruckt waren. Am Abstimmungstag berichteten mehr als 300 internationale Pressevertreter vom Ablauf und Ausgang des Plebiszits.
Not macht erfinderisch. Erich Oettinker (links) und einer seiner Mitarbeiter (rechts). (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA)Foto: SaarLA_N PressPhA 305_8_bearb
Dass Schutzhelme notwendig sein konnten, verdeutlicht diese Aufnahme von der ersten gemeinsamen Kundgebung von CVP und SPS, die für die Annahme des Saarstatuts warben, am 13. August 1955 vor der Wartburg in Saarbrücken. (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA)Foto: SaarLA_N PressPhA 285_21_bearb
Trotz der gewaltsamen Übergriffe waren die politischen Veranstaltungen in den Wochen und Monaten vor der Volksabstimmung sehr gut besucht. Eine der ersten Großkundgebungen des Heimatbunds mit mehr als 2000 Teilnehmern fand Ende Juli 1955 in Völklingen statt. Der Andrang war derart groß, dass zahlreiche Saarländer versuchten, über die geöffneten Fenster den Reden zu folgen. (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA)Foto: SaarLA_N PressPhA 48_19